Mittwoch, 6. April

Der Flug mit einer einmotorigen zwölfsitzigen Maschine war bei sehr schönem Wetter ein Erlebnis. Nach einem frei gesprochen Gebet des Piloten der christlichen Fluglinie überflogen wir zuerst die Hauptstadt Kampala – sehr schön am Viktoriasee gelegen, flogen dann nordwärts über den zweiten riesigen See Kyoga, bis schön langsam die für Afrika typischen runden Dörfer mit den ebenfalls runden Lehmhäusern unter uns auftauchten und wir im Nirgendwo auf einer Sandpiste landeten. Es war der Flughafen von Kotido ohne Flughafengebäude. Dafür blieb die Maschine direkt neben dem Auto von Pater Philip stehen, der uns vom Flughafen abholte und uns bis zu unserem Rückflug nach Österreich begleiten sollte.

Die ersten Eindrücke sammelten wir in der Stadt Kotido, wo wir neben der Straße auffallend große, stolz anmutende Menschen wahrnahmen – die Männer mit Stock und Umhang sowie bemerkenswert aufrechtem Gang unterwegs, ebenso die Frauen, die mehrheitlich ein Baby am Rücken und Wasser oder eine andere Last am Kopf trugen. Wir wollten zuerst den Diözesanbischof besuchen, der sich jedoch gerade in seiner Heimat Italien aufhielt. Die Diözese hat nur elf Pfarrgemeinden mit 14 Priestern, von der Ausdehnung her ist sie allerdings durchaus mit Kärnten vergleichbar. Die Diözese sieht sich nicht nur der Pastoral verpflichtet, sondern ist Trägerin vieler Bildungs- und Sozialeinrichtungen sowie Besitzerin eines Traktors, den sie an die Pfarren verleiht. Das lernten wir gleich in der ersten Pfarre kennen, die wir besuchten, nämlich die Comboni-Pfarre St. Joseph. Hier ließen wir uns zunächst etwas Zeit zum Ankommen. Der Pfarrhof ist im Stil eines afrikanischen Dorfes – allerdings mit runden Steinbauten – errichtet. Es fiel uns sofort auf, dass da ein Kommen und Gehen herrscht. Die Priester werden von den Laien erst nach Nachfragen unterscheidbar. Die Einsamkeit vieler europäischer Pfarrhöfe sucht man vergebens.

In jeder Pfarre gibt es mehrere Gruppen, zumindest aber drei: ein Pastoralteam, eine Jugendgruppe und eine Frauengruppe. Das Pastoralteam kümmert sich um die Liturgie und Verkündigung. Die Jugendgruppe ist sehr diakonisch ausgerichtet. Sie versammelt Kinder und Jugendliche und bietet verschiedene Programme an, so etwa am Wochenende zusätzliche Lernhilfen für SchülerInnen oder Computerkurse für die, die die Schule abgebrochen haben. Außerdem vermittelt sie Informationen über Aids, Süchte etc. bis zu gemeinschaftlichem Musizieren und Tanzen.

Ganz wichtig sind die Frauengruppen, in denen einerseits Austausch und Beratung zu Themen wie Gewalt in der Familie oder Aids stattfinden. Die Erkrankungsrate liegt in der Diözese bei zehn Prozent, doppelt so hoch wie in anderen Landesteilen. Andererseits wird den Frauen die Möglichkeit zur Beschäftigung geboten, wofür oft erst in Kursen die notwendigen Fertigkeiten vermittelt werden. So gibt es Nähkurse oder Ausbildungen für Friseurinnen. Viel Zeit wird der Herstellung von Schmuck hauptsächlich aus Glasperlen gewidmet, der dann gut weiterverkauft werden kann. Vor allem aber lernen die Frauen, die Erde zu bewirtschaften und bekommen in vielen Pfarren in Gemeinschaftsgärten ein Stück Land, das sie bebauen und für sich und ihre Familie nützen können.

Ja und dann gibt es natürlich fast überall Schulen. Viele werden von Ordensgemeinschaften und Pfarren betrieben. Die Schulen sind natürlich die erste Adresse für jeden Projektbesuch. In Kotido besuchten wir, nachdem wir die Einrichtungen der Pfarre besichtigt haben, zuerst einen von Schwestern betriebenen Kindergarten mit Vorschule. Hier begrüßten und unterhielten uns die Kinder mit Liedern und mit Tänzen. Mit unseren Kindergärten und Schulen kann man die Räume, in denen an die 50 Kinder Platz finden, nicht vergleichen – die pädagogischen Mittel noch weniger. Aber die Ziele sind sicher ähnliche und werden, wie wir schon in Kenia gesehen haben, auch erreicht. In der Region Karamoja, der ärmsten mit der höchsten Analphabetenquote Ugandas, geht es vor allem darum, die Kinder auf einen Bildungsweg zu bringen und sie gut für den Eintritt in die ,,primary school“ vorzubereiten.

Wir haben dann eine ziemlich große ,,primary school“ der Comboni-Missionsgemeinschaft besucht, die von einer Schwester geführt wird; die Gebäude wurden großteils von der Caritas Kärnten errichtet. Die Schule ist leider viel zu klein für die vielen Bewerber; das Areal wäre zwar genügend groß für weitere Bauten, aber das Geld fehlt. An die Schule angeschlossen ist je ein Heim für Buben und Mädchen. In je drei ziemlich kleinen Räumen liegen rund 250 Kinder in Stockbetten, großteils ohne Moskitonetz. Kästen gibt es keine. Von der Decke hängen ein paar Kleidungsstücke. Für die unten Liegenden ist Platz unter dem Bett. Der Speisesaal, in dem es keine Tische und Sessel gibt, ist außer dem Lehrerzimmer (mit einem Computer) der einzige Raum mit Strom. Dort werden die Mahlzeiten eingenommen. Nach dem Abendessen finden am selben Ort Studierstunden statt – alles am Boden. Wir standen vor den Gebäuden und den mehr als ärmlich eingerichteten Klassen, während die Schüler und Schülerinnen auf einem großen Platz offensichtlich Turnstunde hatten und singend ihre Runden um den Platz drehten. Wir sahen auch die Küche, in der in zwei großen Kesseln das Abendessen zubereitet wurde – in einem Bohnensuppe, im anderen ,,porrige“, eine Art Mus, das den Kindern in allen Schulen als Jause angeboten wird. Das ,,Porrige“ schmeckt nach nichts, soll aber sehr proteinhaltig sein. Dieses Menü bleibt übrigens immer gleich. Ich musste an die Kinder zu Hause denken und war selten so bedrückt wie an jenem Ort, der derart deutlich die Unterschiede beim Start in ein Zukunft verheißendes Leben freilegte. Dabei musste ich mir noch sagen lassen, dass diese Kinder „privilegiert“ wären, weil in der Provinz nur etwa zehn Prozent der Kinder überhaupt in die Schule gehen können.

Wir fuhren dann weiter zu unserem zweiten Zielort Loyoro im Nordosten Ugandas an der Nordgrenze zum noch ärmeren Südsudan. Die Menschen, die hier hauptsächlich leben, waren vor 20 Jahren noch als Nomaden in der Gegend unterwegs. Vor 15 Jahren gab es jahrelange kriegerische Auseinandersetzungen mit einem anderen Stamm, daraufhin wurde ihnen staatlicherseits verboten, weiter auf der Suche nach Weiden in der Region herumzuziehen. Dass sie gerade in der trockensten Gegend sesshaft werden müssen und nicht mehr dem Regen folgen dürfen, erscheint angesichts der anderen Herausforderungen eines solchen Kulturwandels fast zynisch. Sie werden in ihrer neuen Heimat ziemlich alleingelassen und einfach ignoriert, wie ich später in Kampala sogar vom Taxifahrer hören konnte, der sich sehr darüber wunderte, dass wir gerade in Kojido waren, der unwirtlichsten Gegend Ugandas. Und vom österreichischen Außenministerium gibt es eine Reisewarnung. Das habe ich allerdings erst nach unserer Rückkehr festgestellt. Dabei ist es wie so oft umgekehrt: Die dort lebenden Menschen fühlen sich selbst bedroht. Man sieht es an ihren kleinen durch Zäune und Stachelsträucher abgesicherten Dörfern, wie wichtig ihnen Sicherheit ist. Die Dörfer zu errichten war Aufgabe der Männer, die früher dafür zuständig waren, die Zelte aufzustellen und für das Vieh Weiden zu finden. Nun haben sie keine Aufgaben mehr. Anders die Frauen, die neben der Erziehung der Kinder nun auch für die Nahrung sorgen müssen – mit Feld- und Handarbeiten, und die gesamte Verantwortung für den kärglichen Haushalt übernehmen. Die Kinder helfen, so viel sie können. Sie schauen auf die jüngeren Geschwister, führen die Ziegen auf die Weide, holen das Wasser von den oft sehr weit entfernten Brunnen. Und manche gehen auch noch zur Schule. Die Männer bleiben übrig, haben nichts zu tun, werden gewalttätig gegenüber Frauen und Kindern, trinken auch und werden noch brutaler. Aber was sollten sie tun? An einem Ort haben wir beobachtet, wie Männer, die als Hirten und Krieger ausgebildet – man nennt sie hier auch ,,warriors“ – vor 15 Jahren den letzten Krieg führten, nunmehr zusammen mit Frauen kleine Glasperlen zu Rosenkränzen auffädelten. Endlich emanzipiert, könnte man sagen, aber in ihrem Inneren haben diese Form der Geschlechtergleichstellung wohl noch nicht nachvollzogen. Es wird für die hiesige Gesellschaft entscheidend sein, dass gerade Männer in der neu entstehenden Agrargesellschaft einen ihnen entsprechenden Platz finden, aber wie soll das gehen in einer Situation von Hunger und Analphabetismus?