Dienstag,  6. Juni 2017

Diesmal ging der Flug mit Quatar Airways nicht über Amsterdam, sondern nahm einen noch weiteren Umweg über Doha, die Hauptstadt Quatars, wo ich knapp nach Mitternacht umsteigen musste. Und danach dauerte der Flug noch länger als angekündigt: zwei Tage zuvor hatte Saudiarabien mit ein paar anderen arabischen Staaten die diplomatischen Kontakte zu Quatar abgebrochen, weil der Emir angeblich zu Iran-freundlich ist. Und schon waren alle Flugzeuge von Doha in saudiarabische Städte „cancelled“ und wir musste die Halbinsel umfliegen, um nach Nairobi zu kommen. Verständigung auf politische Kompromisse ist leider bei den Staatenlenkern nicht das Gebot der Stunde.

 

Mit schweren Augen setzte ich mich in ein Taxi, das Raphael Thurn-Valsassina von der Ö-Caritas, mit dem ich diese Tage verbringen werde, geschickt hat. Aber meine Aufmerksamkeit kehrte schnell zurück. In einer guten halben Stunde schaffte es der Fahrer, mir die politische Situation in Kenia zwei Monate vor der Präsidentenwahl so klar und spannend zu vermitteln, dass ich in Windeseile mit den Problemen und Herausforderungen des wohl führenden ostafrikanischen Landes mit seinen fast 50 Millionen Einwohnern vertraut wurde.

 

Mit einem anderen Horizont und doch wieder sehr ähnlich in der Beurteilung der Situation ging die Lehrstunde beim österreichischen Botschafter für Kenia und weitere neun afrikanische Staaten mit Sitz in Nairobi, Harald Günther, weiter. 43 Stämme und große Familienclans, ebenso viele verschiedene Sprachen, notdürftig zusammengehalten durch die beiden Landessprachen Suaheli und Englisch und den Präsidenten. Der amtierende Präsident ist übrigens der Sohn des ersten kenianischen Präsidenten nach der Staatsgründung 1963, der Oppositionsführer ist der Sohn des damaligen Oppositionschefs. Das hört sich nicht gut an in einem Land, in dem die meisten Politiker die Stammesinteressen über die Staatsinteressen stellen – so zumindest unisono der Botschafter und der Taxichauffeur.

 

Eine Folge davon sind die übergroßen Gegensätze zwischen arm und reich, die für die Armen lebensbedrohend werden, wenn wie aktuell im Norden des Landes der Regen ausbleibt. Und die Reichen müssen die sowieso schon hohen Mauern und Zäune um ihre Grundstücke noch schärfer bewachen, auch ihr Leben ist bedroht, wenn Menschen ums Überleben kämpfen müssen.

 

Aus den Worten des überaus freundlichen und gut informierten österreichischen Botschafters war herauszuhören, dass die reichen Staaten, darunter auch Österreich in der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend auf Wirtschaftshilfe setzen. Dass Wirtschaft in der Regel auf Randgruppen wenig Rücksicht nimmt, wird oft genug bewiesen, und so wird es weiterhin, vielleicht noch mehr als bisher, humanitäre Hilfe brauchen. Die Arbeit wird uns also nicht ausgehen, wohl aber die finanziellen Mittel, wenn Förderungen umgeleitet werden. Aber in Schwarz-Weiß-Manier wird sich die Situation nicht lösen lassen, und die durch Investitionen in Wirtschaft und Industrie erhoffte Ausweitung des Mittelstandes ist dem Land nur zu wünschen.

 

Am Nachmittag besuchte mich der neue Projektkoordinator von „Hands of care and hope“ der franziskanischen Missionsschwestern, deren Schulen, Altersheim und viele anderen Sozialeinrichtungen in Korogocho, einem der schlimmsten Slums in Nairobi wir seit Jahren wirkungsvoll unterstützen. In mir sind sofort Erinnerungen aufgestiegen an meinen Besuch vor gut einem Jahr – ja dort sind die „looser“ dieser Gesellschaft zu Hause, sofern man ihre zusammengestoppelten Blechhütten überhaupt so nennen kann. Aber dann erzählt Peter von einem Schüler unserer Secondary school, der sich bei einem Wettbewerb unter den besten Schülern ganz Kenias hervorragend behauptet hat. Sofort hat ihn eine Bank engagiert und will ihm zunächst die Ausbildung auf der Universität bezahlen. Er erzählt auch, dass immer mehr Schüler und Schülerinnen bei den Aufnahmetests Schlange stehen und wegen Platzmangel nicht aufgenommen werden können. Ja wir sind erfolgreich mit unseren Projekten, und doch bleibt so viel Unbehagen zurück, denn wir haben kein Geld, um sie auszubauen.

 

Inzwischen ist mir der Schlaf ganz vergangen, das Land mit seinen gewaltigen Herausforderungen nimmt mich wieder gefangen.