Tag 1 - Ankunft

"Kommt man in ein fremdes Land, ist die Versuchung groß, von den ersten wenigen Eindrücken lange Geschichten zu erzählen. Besser ist es, einfach einmal gut hinzuschauen und hinzuhören. Wir haben den ersten Abend mit dem Pfarrer, den Don Bosco Schwestern und einem Unternehmer verbracht und im Gespräch wichtige Dinge über den Kontext erfahren, in dem unser Projekt eingebettet ist.

 

Die Region von Tale ist überraschenderweise für ein mehrheitlich muslimisches Land fast vollständig christlich. Sie liegt am Meer und wurde erst nach der Wende von Bauern besiedelt, die vor der türkischen Besatzung in die Berge geflohen sind und dort nicht nur 500 Jahre osmanisch-islamische Oberhoheit, sondern auch fast 50 Jahre kommunistisch-atheistische Repression als Katholiken überlebt haben, oft ungetauft, ohne Priester, mit dem Rosenkranz als identitätsstiftendem Zeichen und dem Gebet als Quelle ihres Beharrens auf Tradition und Religion. Sie sind arm, leben weiter als Hirten und Kleinstbauern und werden durch die Pfarre und das Zentrum der Schwestern langsam zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen. Kinder lernen sich im Kindergarten kennen und bleiben bis ins Jugendalter Freunde, Eltern treffen sich rund um gemeinsame Interessen, Mütter, deren Männer im Ausland arbeiten, lernen Verantwortung zu übernehmen und solidarisch zusammen zu stehen. Ja, es braucht hier wohl dringend dieses Zentrum und wir können stolz sein, so viel dazu beigetragen zu haben.

 

Die zweite Beobachtung ist schneller beschrieben. Natürlich interessiert uns die Frage nach dem Zusammenleben der Religionen. Sehr glaubhaft wurde uns versichert, dass anders als in vielen anderen Ländern in Albanien die Religionsgemeinschaften auf eine sehr unkomplizierte Art zusammenleben, sozusagen als verschiedene Weisen alter albanischer Traditionen. Und als Verdeutlichung erzählten die katholischen Schwestern mit Stolz, dass letzten Sonntag die höchsten Würdenträger der Muslime, der Bektaschi, einer traditionellen muslimischen Sekte, der orthodoxen und katholischen Christen nach Paris gereist sind und dort Schulter an Schulter ein Zeichen für religiöse Toleranz gesetzt haben. Albanien steht seit heuer in Beitrittsverhandlungen in die EU, ich denke, wir brauchen uns nicht vor ihnen zu fürchten, wollen sie aber auf dem zweifellos noch langen Weg dahin unterstützen mit unserem kleinen und doch Hoffnung weckenden Projekt."

Bischofsvikar, Dr. Josef Marketz

Caritasdirektor